Home Office- wieviel soll es sein?
Viele Unternehmen stellen sich derzeit die Frage wie hoch der Home Office (HO)- Anteil in einer post Corona Zeit sein sollte. Arbeitnehmer sprechen einerseits von reduzierten Anfahrtszeiten, flexiblerer Einteilung oder ruhigerer Arbeitsumgebung (nur kinderlose😊) und andererseits von zu wenig sozialen Kontakten, kein geeigneter Platz oder mangelnder Soft- Hardware Ausstattung. Unternehmer ersparen sich einerseits Reisekosten, Anfahrtszeiten, Mieten und andererseits leidet die Zusammenarbeit, Kommunikation, on boarding Prozesse und die Bindung an das Unternehmen.
Unlängst saß mir ein Vorstandmitglied gegenüber und sprach sich vehement für möglichst lange HO- Zeiten aus. Während des Gespräches hörte ich von seiner üblichen Büro Anfahrtszeit von 2-3 Stunden am Tag. Ergeben sich dadurch Eigeninteressen? Die persönlichen Umstände, Sichtweisen oder unmittelbare Einsparungspotenziale dominieren in vielen Fällen bewusst oder unbewusst die Diskussion. Gleichzeitig sind einvernehmliche Lösungen gefragt: Aus arbeitsrechtlichen Gründen wird über „zwingend betriebsbedingte Gründe“ nachgedacht, um Arbeitsnehmern die gewünschte oder unerwünschte physischen Anwesenheit argumentieren zu können.
Wie hoch soll in Zukunft der Home- Office Anteil eines Arztes, Kellners, Krankenschwester oder Bauarbeiters sein? Eine absurde Frage, denn der Nutzen der MitarbeiterIn im HO wäre für den Be-trieb gleich null. Genau dieser Nutzen für das Unternehmen sollte im Vordergrund der Überlegungen sein und hängt von der gestellten Aufgabe und Zielsetzung ab.
Arbeitsprozesse werden durch Standardisierung, kleinteiliges Zerlegen, Spezialisierung auf Einzel-schritte und Vereinfachung optimiert, um so die Digitalisierung optimal zu nutzen. So sind stereotype, klar abgegrenzte, spezifizierte oder messbare Tätigkeiten im HO leicht möglich. Umfragen zeigen, dass sich manche Mitarbeiter energiegeladener, ausgeglichener, selbstbestimmter und effizienter im HO erleben.
Persönliche Dienstleistungen, schlecht strukturierte, sich schnell verändernde Themenstellungen, Unsicherheiten oder Unvorhersehbarkeiten, die mit Standardlösungen nicht kompatibel sind, benötigen Teamarbeit, um durch neue Ideen schnellstmögliche Lösungskompetenz sicherzustellen. Im Verkaufsbereich: Vertrauen, die Basis einer langfristen Kundenbeziehung, ist ohne persönlichen Kontakt nur schwer herstellbar. Auch die Bindung an das Unternehmen zählt zum Nutzen: Menschen als Beziehungswesen fühlen sich nicht einem abstrakten Unternehmensbegriff bzw. IT-Link, sondern den KollegInnen in der Zusammenarbeit zugehörig. Tragfähige, vertrauensvolle Bindungen als Grundlage bestmöglicher Teamarbeit und Entwicklung sind im virtuellen Umfeld eben auch nur virtuell.
Als ehemaliger Risikomanager habe ich gelernt, dass die Auswirkungen einer Krise am Höhepunkt der Krise in der Regel überschätzt werden. So glaube ich, dass manche Unternehmen den dauerhaften HO- Anteil in der post Corona Welt derzeit überschätzen. Natürlich ist HO spätestens jetzt nicht mehr als Bonifikation zu sehen, sondern integraler Bestandteil der Arbeitswelt.
Die bestmögliche Arbeitsmethode um die Unternehmensziele zu erreichen bestimmt die Kriterien, um den HO- Anteil festzulegen. Brauche ich Kreativität für neue Lösungsansätze, Koordination von Experten für komplexe Aufgabenstellungen, Austausch im Sinne der selbst lernenden Organisation oder schlicht ein Zugehörigkeitsgefühl, dann ist Präsenz dienlich. Strukturierte Arbeitsprozesse, abgegrenzte Arbeitspakete oder klare Vorgaben mit flexiblen Umsetzungsmöglichkeiten können die Vorteile des HO nutzen. Die persönlichen Einschätzungen oder Präferenzen der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmer Seite können diese Kriterien ergänzen und so zu einvernehmlichen Lösungen im Sinne der Unternehmensziele führen.
In diesem Prozess kann die Unterstützung eines unabhängigen Dritten einerseits Perspektiven öffnen und leichter einvernehmliche Lösungen sicherstellen. Natürlich interessieren mich ihre Kommentare, Ergänzungen oder Fragestellungen: jes@stefan-jezl.at
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